Das Auszählen am ersten Abstimmungssonntag
Teil 3 meines Blogs über meine Arbeit als Wahlhelfer im lokalen Abstimmungsausschuss
Der Gemeinderat meiner Wohngemeinde hat mich für die Periode 2022 / 2023 in den Abstimmungsausschuss gewählt. Damit erhalte ich direkten Einblick in die praktischen Abläufe von Wahlen und Abstimmungen in der Schweiz. Diese Abläufe sind in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt. Dies hier ist das Blog zum Thema.
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Am 13. Februar 2022 hatte ich meinen ersten Einsatz als Wahlhelfer bei einer nationalen Abstimmung. Zusätzlich zu den vier eidgenössischen Vorlagen, kam auch noch eine kantonale Vorlage zur Abstimmung.
- Vorlage 1: Volksinitiative “Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot - Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Forschritt”
- Vorlage 2: Volksinitiative “Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung)”
- Vorlage 3: Referendum “Bundesgesetz über die Stempelabgaben”
- Vorlage 4: Referendum “Bundesgesetz über ein Massnahmenpaket zugunsten der Medien”
- Vorlage Kanton Bern: Referendum “Gesetz über die Besteuerung der Strassenfahrzeuge”
Die Einrichtung
Das Helferteam aus unserem Abstimmungsausschuss wurde für 09:45 ins Wahlbüro bestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gemeindeschreiber H. mit seiner Frau und Gemeindemitarbeiterin S. bereits alles eingerichtet. Die Fahne wehte auf der Bahnhofstrasse. Den Zugang in das Gemeindehaus und von dort in die Turnhalle, wo die Urnen aufgestellt waren, hatten sie gemäss dem Corona-Schutzkonzept in Eingang und und Ausgang getrennt, auf den Tischen lagen zwei Ausdrucke des Stimmregisters bereit und auch das Körbchen mit Schokolade für die Stimmberechtigten war gut gefüllt und beim Ausgang postiert. Weiter waren mehrere Arbeitstische vorbereitet, mehrere Abfalleimer und auf einem separaten Tisch lagen mehrere leere Stimmzettel bereit, falls jemand sein Stimmmaterial verloren haben sollte.
Vom Abstimmungsausschuss waren wir zu viert, wobei unsere freischgebackene und ebenso unerfahrene Komissionsleiterin nur für die erste Stunde teilnehmen konnte. Daneben waren wie erwähnt Gemeindeschreiber H. und S. dabei. Also sechs Personen während der Stimmabgabe vor Ort und dann fünf Personen für das Auszählen.
Wir arbeiteten mit drei Urnen. Die erste Urne war für die Stimmrechtsausweise derjenigen Stimmberechtigten vorgesehen, die vor Ort abstimmen würden. Dann eine Urne für den Stimmzettel der vier eidgenössischen Vorlagen und schliesslich eine dritte Urne für die kantonale Berner Vorlage. Das Stimmmaterial für diese Abstimmung habe ich im vorangegangenen zweiten Teil dieses Blogs en détail besprochen.
Just um 10:00 leerte H. den Gemeindebriefkasten zum letzten Mal, bat uns zu den Urnen und hiess uns zu kontrollieren, dass sie alle leer waren. Dann verschloss und versiegelte er sie vor unseren Augen.
Wir waren also bereit für die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen, die in der folgenden Stunde ihre Stimmen vor Ort abgeben wollten.
Die Stimmabgabe
Nach einigen Minuten erhielten wir den ersten Besuch. Die beiden Besucher hatten die Unterlagen ausgefüllt, den Stimmrechtsausweis unterschrieben und den Umschlag für die briefliche Stimmabgabe zugeklebt. Aber sie hatten den Termin verpasst, kamen nun ins Abstimmungsbüro und rissen den Umschlag wieder auf, um vor Ort abstimmen zu können.
Wir kontrollierten dazu den Stimmrechtsausweis und hatten auch einen Ausdruck des Stimmregisters zur Hand, um zu kontrollieren, ob der Name auf dem Stimmrechtsausweis auch tatsächlich auf dem Stimmregister firmieren würde. Faktisch kannten wir aber die meisten Personen die vor Ort abstimmen wollten und bei den anderen wollten wir dann trotzdem nicht den Namen auf dem Stimmregister heraussuchen; schliesslich ist so eine Kontrolle ja auch ein Stück weit ein Misstrauensvotum. Ein gross angelegter Betrug lässt sich aber aufgrund der sehr geringen Zahl der vor Ort abstimmenden aber ausschliessen.
Die formell korrekt aussehenden Stimmrechtsausweise durften dann von den Stimmberechtigten in die erste Urne geworfen werden.
Links daneben stand die Urne für die Stimmzettel zu den vier eidgenössischen Vorlagen. Der Stimmzettel musste zunächst durch die Stimmberechtigten gefaltet werden. Intuitiv falten die meisten ihn mit der Stimme nach Aussen, aber das ist genau falsch, denn wir Wahlhelfer sollten die Stimme ja nicht sehen. Also nach Innen falten. Das ist auch deshalb nötig, weil die Stimmzettel vor dem Einwerfen noch auf der Rückseite mit einem Gemeindestempel versehen werden sollten.
Dieser Stempel ist essentiell beim Auszählen, es ist also sehr wichtig, dass man sicher stellt, dass die Stimmberechtigten den Zettel nicht in die Urne werfen, bevor er gestempelt ist. Bei uns wurde das so gelöst, dass wir den den Schlitz der Urne mit einem Stück Karton abdeckten; wir baten die Stimmberechtigten dann, den wie vorgesehen gefalteten Stimmzettel auf den Karton zu legen. Auf dieser Unterlage wurde er gestempelt, dann Karton weg und der Stimmberechtigte warf seinen Stimmzettel in die Urne ein.
Für die kantonale Vorlage wiederholte sich dieses Prozedere an der dritten Urne mit einem separaten, aber identischen Stempel und dem Unterschied, dass der kleinere Stimmzettel hier nicht gefaltet, aber auf der Rückseite abgestempelt wurde.
Die brieflichen Stimmen
Während im Lauf einer Stunde gut ein Dutzend Personen ihre Stimmen vor Ort abgaben, arbeiteten wir an mehreren Tischen an den brieflichen Stimmen, deren Zustellkuverts ab 10:00 geöffnet wurden. Gut 360 Stimmen war auf diesem Weg eingegangen.
Ursprünglich wollte ich diese Arbeit auch in diesem Blog Post beschreiben, aber ich verschiebe das lieber in einen separaten Beitrag, um diesen Text hier nicht noch länger zu machen.
Etwas muss ich dazu aber noch erzählen, denn es ging nicht lange, bis man mir meine eigene briefliche Stimme zeigte: Stimmrechtsausweis nicht unterschrieben und damit ungültig. Ein typischer Anfängerfehler, den neben mir noch ein paar andere Abstimmende in unseren Dorf machten.
Ich erinnere mich auch noch sehr genau, wie meine kleine Tochter an meinem Bein zerrte, als ich am Vortag dabei war, das Stimmmaterial auszufüllen und zuzukleben. Sie hatte mich also soweit verwirrt, dass ich die Unterschrift vergessen hatte. Nun gut, damit zählte meine Stimme halt nicht.
Das Auszählen
Um 11:00 verschloss H. den Zugang zum Wahlbüro und wir begannen mit dem Auszählen. Dazu kontrollierten wir zunächst gemeinsam das Siegel an den Urnen: Es war noch intakt. H. schnitt das Siegel an der ersten Urne auf und wir zählten rasch die darin enthaltenen Stimmrechtsausweise. Das waren sehr wenige, denn nur die Ausweise der vor Ort abstimmenden Personen gelangten in diese Urne. Dann weiter zur Urne mit den eidgenössischen Vorlagen. Da hinein hatten wir in der Zwischenzeit auch die brieflichen eidgenössischen Stimmzettel geworfen. Beim Drehen der Urne kam also ein grosser Haufen Papier zum Vorschein. Den teilten wir nun grob in vier Haufen auf und verteilten sie auf vier Arbeitstischen, corona-konform mit mindestens 2 Metern Abstand dazwischen.
Die einzelnen Viertelhaufen richteten wir aus und bündelten sie in kleinere Bündel à 20 Stimmzettel plus den Rest. Gemeindeschreiber H. nahm sich dann dieser Restbündel an und glich sie gegenseitig aus, so dass am Schluss auf jedem der vier Tische dieselbe Anzahl Stimmzettel lag. Dankenswerterweise ging das exakt auf.
Wir schritten nun zur ersten Ausmittlung der ersten eidgenössischen Vorlage. Bei diesem ersten Durchgang kontrollierten wir ob die Stimmzettel auf der Rückseite korrekt gestempelt waren und ob die Stimme für die erste Vorlage korrekt ausgefüllt war. H. erklärte uns, dass korrekt hierbei bedeutet, dass der Wille des Stimmberechtigten eindeutig erkennbar sein müsse.
Das war er natürlich in aller Regel und ich akzeptierte auch eine Stimme, obschon ich beim Wort “Ja” zu einer Vorlage einen Schreibfehler identifizierte.
Im gleichen Arbeitsgang teilte ich Stimmzettel mit den vier Vorlagen gemäss der Stimme für die erste Vorlage in vier Stapel auf: * Ja-Stimmen * Nein-Stimmen * Leere Stimmen * Ungültige Stimmen
Ungültige Stimmzettel sah ich den ganzen Tag über keine, so dass es faktisch immer nur drei Stapel gab. Leere Stimmen gab es vereinzelt und die Ja- und Nein-Stimmen machten natürlich die Grosszahl aus.
Also Sortieren und Stapel bilden und dann in einem zweiten Durchgang die Stapel auszählen. Ich brauchte für diese erste Ausmittlung tatsächlich mehrere Versuche bis ich mir sicher war, dass ich alle Stimmen gezählt hatte und die Summe auch wieder stimmte, denn die war ja von der Aufteilung der Bündel her ja bekannt.
Persönlich habe ich eher trockene Finger, so dass es kaum ohne Befeuchten ging: Also Maske runter, Corona hin oder her. Nach und nach taten es die anderen mir gleich. Aus hygienischer Perspektive ist das wirklich nicht ideal, aber nur mit Zusatzaufwand anders möglich.
Das Resultat dieser ersten Ausmittlung trugen wir dann auf einem eigenen Laufzettel ein, den H. bei uns an den Tisch brachte; also die Zahl der Stimmen in den vier Kategorien und die totale Summe der Stimmen. Die aufgeteilten Stimmen legten wir dann wieder zusammen auf ein einziges Bündel.
Den Laufzettel sammelte H. dann zusammen mit den Stimmen ein und brachte ein neues Bündel für die zweite Ausmittlung der ersten eidgenössischen Vorlage vorbei. An welchen Tisch mein Bündel genau weiter ging und von welchem Tisch die neuen Stimmen genau zu mir kamen, das sah ich dabei nicht so genau.
Also erneute Kontrolle der Stimmen auf ihre Gültigkeit, aufteilen in die verschiedenen Stapel und auszählen. Bei dieser zweiten Ausmittlung für die erste eidgenössische Vorlage machte ich einen Zählfehler. Das heisst, ich glaube ich habe richtig gezählt, aber dann falsch auf dem Laufzettel eingetragen. Auf jeden Fall fiel H. die Diskrepanz zwischen einzelnen Stimmen und der Summe der Stimmen auf und ich erhielt das Bündel zurück. Also nochmals zählen, grosse Nervosität, weil die anderen inzwischen fertig waren und auf mich warteten, und alles etwas schwierig mit so viel Papier und verschiedenen Stapeln und doch stimmte es beim zweiten Mal.
Zusammengefasst haben wir gemeinsam die erste eidgenössische Vorlage in vier grosse Bündel aufgeteilt und jedes Bündel je zwei Mal gezählt oder eben ausgemittelt. Die Resultate wurden auf Laufzettel eingetragen und H. kontrollierte die Laufzettel ein erstes Mal: Die Ergebnisse stimmten dabei überein.
Wichtig ist vielleicht noch das Detail, dass die einzelnen Bündel nicht markiert waren. Das heisst in dem Moment an dem sie meinen Tisch verliessen, waren sie zumindest für mich nicht mehr identifizierbar. Sie besassen auch alle vier dieselbe Anzahl Stimmzettel, so dass H. wohl sehr genau aufpassen musste, dass es kein Durcheinander gab.
Nach dieser Auszählung der ersten eidgenössischen Vorlage ging es mit der zweiten Vorlage weiter. H. verteilte die vier grossen Bündel erneut auf den vier Tischen und wir teilten sie nach Ja- und Nein-Stimmen etc. in mehrere Stapel auf. Dann Auszählen, respektive Ausmittlung, Eintragen auf Laufzettel, zweite Ausmittlung der Vorlage, Eintragen auf weiterem Laufzettel, und so weiter und so fort.
Für die vier eidgenössischen Vorlagen arbeiteten wir mit vier Durchgängen à zwei Ausmittlungen. Im ersten Durchgang wurde die 1. Vorlage oben links gezählt. Zwei Mal. Dann in einem zweiten Durchgang die Vorlage unten links, und so weiter. Jeder Stimmzettel wurde also vier Mal unterschiedlich nach Ja- und Nein-Stimmen etc. sortiert und insgesamt acht Mal gezählt und am ganzen Wahlsonntag gut und gerne ein Dutzend Mal angefasst.
Bei der zweiten Ausmittlung kann man vom Vorsortieren der ersten Ausmittlung profitieren. Persönlich habe ich da aber die Ja- und dann die Nein-Stimmen-Stapel auseinander genommen und genau kontrolliert und dann erst zu zählen begonnen. Macht ja auch Sinn, denn das Ziel der zweiten Ausmittlung ist es ja gerade zu kontrollieren, ob bei der ersten Ausmittlung Ja- oder Nein-Stimmen falsch eingereiht und dann falsch gezählt wurden. Lässt sich vielleicht mit etwas Übung optimieren, aber soweit bin ich noch nicht und es brauchte einfach viel Zeit, bis wir mit den vier Durchläufen und acht Ausmittlungen fertig waren.
Was man auch beim Auszählen merkt: Die handschriftliche Antwort für die ersten beiden der vier Vorlagen kamen gegen die Mitte des Stimmzettels zu liegen. Für die dritte und vierte Vorlage war das am rechten Rand. Je nach manueller Zähltechnik macht das beim Auszählen einen durchaus einen Unterschied.
Inzwischen war es 12:30 geworden und wir leerten quasi zum Dessert noch die Urne mit der kantonalen Berner Vorlage, die zu diesem Zeitpunkt immer noch versiegelt war. Also Zerschneiden der Versiegelung, aufteilen in vier grosse Bündel, zählen und Festhalten der Grösse der Stapel und dann ausmitteln der Stimmzettel in zwei Durchgängen.
Gegen 12:50 waren wir auch damit fertig. H. zeigte uns nun die Resultatblätter die er auf Basis der Laufzettel zusammengestellt hatte. Er bat uns alles zu kontrollieren. Zunächst einmal die korrekte Übertragung der Resultate von den Laufzetteln der einzelnen Ausmittlungen pro Bündel auf das Blatt mit den Ergebnissen pro Vorlage. Und dann die Aufsummierung der Resultate der einzelnen Stapel zum Gesamtresultat mit total gut 370 Stimmen pro Vorlage.
Korrekturen hatten wir keine anzubringen, es war alles korrekt.
Nun begleiteten wir Gemeindeschreiber H. in sein Büro, wo er die Resultate in das System zur Übermittlung der Ergebnisse des Kantons Berns unter https://www.bewas.apps.be.ch eingab.
Nach einer Zwei-Faktor-Authentisierung erfasste er die Ergebnisse zu den einzelnen Vorlagen, was das System mit zwei Markierungen “richtig” und “plausibel” quittierte, ohne, dass sich mir erschloss, welche Prüfungen da genau dahinter standen. Zum Schluss dann noch die Freigabe der gesamten Ergebnisse und der erste Abstimmungssonntag war für mich um 13:05 beendet.
Fazit
Ich habe wie im ersten Beitrag erklärt eine starke Sicherheitsperspektive auf die Abläufe bei der Stimmabgabe und dem Auszählen. Und die obenstehende Beschreibung, die etwas langatmig wirken mag, hat das Ziel, alles ganz genau festzuhalten. Auf dieser Basis lässt sich dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Diskussion zu möglichen Schwachstellen führen. Ein erstes Zwischenfazit: Stimmabgabe vor Ort ist ein sehr gut eingespielter und meines Erachtens sehr sicherer Prozess. Manipulationen beim Auszählen von Referenden wie am oben beschriebenen Wahltag, scheinen mir sehr anspruchsvoll.
Ausblick
Am 27. März finden im Kanton Bern, wo ich lebe, Grossrats- und Regierungsratswahlen statt. Da das Auszählen von Wahlen wesentlich komplizierter ist als die Ausmittlung von Volksabstimmungen, werden Wahlen bei uns von einem bewährten Team ausgezählt. Zusammen mit einer Kollegin aus dem Abstimmungsausschuss habe ich mich freiwillig gemeldet um dieses Team zu unterstützen. Gemeindeschreiber H. hiess diese Initiative sehr willkommen.
Nachtrag: Eine Anfrage aus dem Zentrum für Demokratie Aarau nach der Versorgung mit Apfelschorle und Sandwiches muss ich leider abschlägig beantworten. Da gibt es noch Verbesserungsbedarf. Ein Thema, das es bis zu den kantonalen Wahlen Ende März zu klären gilt.
[EDIT] 2022-03-26 : Löschen eines Satzes